führt uns Julie von Wegen (aka Julie Mader) performativ in einem Film aus dem Kunst Archiv Bernhard Huwiler (KABH) ein.
Durch die Institution? – Julie von Wegen
Keine Angst, nichts ist nass geworden, nichts wird nass
nicht wird nass werden
Nichts, nur
das Flussbett, nur die unterirdischen Wasserleitsysteme
nur die Schläuche der Feuerwehr, freiwillig
nur die Mulde, die vor das Haus gestellt und gefüllt wird
und nur die Giesskannen, die aufgefüllt aufs Dach gezogen werden
und dann
in schwenkenden Bewegungen über das Dach hinunter ausgeleert
nur die Ziegel von aussen, an denen es herunterläuft, werden nass
weiter in die Dachrinne, Dachchänu, will ich sagen
die daraus ablaufenden Rohre, in das Haus hinein, werden nass
von innen, im Haus laufen sie von zwei Seiten in ein weiteres
halboffenes Rohr, das sich schliesst und wiederum abläuft
dann, ganz nebensächlich, aus dem Haus wieder heraus
und in das offene Senkloch hinein, ich weiss genau wo, ich weiss genau welches
Ab da fällt das Wasser wieder in die Kanalisation
und damit zurück in den Kreislauf und Lauf des Flusses
Das alles wird nass, aber sonst nichts
Und wir die hier im Haus sitzen, können getrost, beruhigt wissen:
nüt isch nass worde, nüt wird nass
es wird nüt nass wärde
Nur vielleicht auf dem Dach
wo das Wasser das Haus zuerst berührt
wo sich mit der Zeit Moos und Algen ansiedeln
wo das Flusswasser wie Dünger ankommt
da setzt es vielleicht an, wächst
und wenn nicht regelmässig entfernt, dann wuchern die Flechten
und Wasser sammelt sich an
Dann staut es sich, fliesst nicht, entschuldigt, es fliesst gerade nicht, no flow, es git stou
Zuerst bleibt ein Tropfen hängen, im moosigen Geflecht
dann hält sich ein Zweiter, hängt sich mit ein
Da sammeln sie sich, gruppieren sich
organisieren sich, in organischen Formen
solidarisieren sich zu soften Trauben aus Tropfen
in fluider Gesellschaft
fragen sie sich, was ist das, sind wir für ein Fahrwasser?
Und weil sie viele sind und gewichtig, fallen sie ein
reissen alles mit sich, Einbruch in das Haus
gleich mit dem Dach hinein, die Institution bricht ein und schreit:
hei, geht’s noch habt ihr einen Schaden?
und die Wassermassen aus Tropfen schreien zurück:
und was für einen Schaden, Wasser-schaden,
und nein es geht nicht, es geht uns allen nicht,
wir haben alle zusammen einen Schaden und schaden uns allen einander damit
Nur vielleicht da, da ist es nass geworden, ist es nass
Und dann, vielleicht dann, würde etwas, würde alles nass
werden dann
Aber so weit kommt es nicht und das Wasser wird nur
in dieser scheinbaren Nacht und Schneegestöber Aktion
über das Dach einer Kulturinstitution gekippt
Kultur-begiessen, quasi
Dann hineingeleitet, hineingeführt, in das Haus, die Institution zu durchlaufen und dann auch wieder auszutreten
Nichts ist nass geworden, nichts wird nass, nichts wird nass werden
Keine Bange, keine Sorge, keine Angst
Nichts wird nass
Im Raum drin stehen Stühle
Menschen, könnten sich setzen
und dem Rauschen des Wassers in den Rohren durch den Raum lauschen
lauschiges plätschern, lauschige Stimmung hier
führt zu wässrigen Gedanken
und kurz stehen hier die Schallwellen in der Luft,
zeigen an, geben den Ton an
was sagt das Wasser?
Die Rohre transportieren mit dem Wasser den Klang des Ein- und Austretens
des Kreislaufs durchs Haus
und bemerken folgerichtig, es gibt einen Ablauf
von hier nach da, ein durchlaufen, ablaufen
ein Streifen der Strukturen, kein Reissen, kein Brechen
und auch keinen Durchbruch
Oder zieht es etwas mit sich, nach sich?
Wenn nichts zu sagen etwas ändert
Wenn nichts zu sagen etwas ändert
Und die wässrigen Gedankenflüsse in den Köpfen beginnen zu brodeln,
si föh afa bloddere, d lüt ih ihrne Chöpf am chosle
Den Blick auf die Stelle wo zwei in den Raum eingetretene Rohre
in das waagrechte halboffene Rohr übergehen und denken:
Wir könnten über die Ufer treten, könnten unsere Bahn brechen
Könnten raumgreifend, raumfüllend werden,
könnten schwemmen, über und über schwemmen, überschreiten
Könnten die Türen, alle Türen, Fenster von innen aufschwemmen
Das ganze Haus
innerlich aufschwemmen, alles aufschwimmen lassen
Durch und durch
und die Räume im Haus vermischen:
das Büro auf der Bühne, der Publikumsraum im Backstage
und endlich, endlich die Schminktische gleich beim Technikpult, endlich
da wo sie doch ebenso gut hin passen würden
und die Bar gleich im WC, die simpleren Ein- und Ausflüsse nahe beieinander bauen
und das Kinder-Programm auf den Treppen
wo sonst die Stühle und die gestuhlten Erwachsenen sitzen
dass sie schauen und betrachten und beurteilen können, weil sie können
und vielleicht für einmal die Generationen nicht getrennt einladen
Rollator, Rollstuhl und Kinderwagen, scheitern an der gleichen Schwelle
profitieren von der gleichen Rampe
und auch alle anderen Anderen, alle sonst gesonderten, besonderen
alle die Sprachen, alle die sprechen
bahnen brechen
Und die Krusten der geklärten Abläufe könnten aufgeweicht werden und sich lösen, auflösen
In kleinste Bestandteile, sich verteilen, unter die Tropfen mischen
anstatt trocken zu fragen, was dieser Auffluss hier soll
für einen Moment aufgeben
Fest-Be-Stand-Punkt-
Teil zu sein höher werten
Sich aufmischen lassen
Und wenn sich das Wasser wieder senkt, wieder legt
legen sich auch die Krustenteile wieder
vielleicht in neuen Anordnungen, vielleicht in weicheren Kombinationen
Und Zweifel beschleichen die Teilchen, ob es die Tropfen
und das nass werden vielleicht einfach braucht, für Veränderungen
Und ein Fluss fliesst in den Anderen
Aber: nüt wird nass, es isch nüt nass worde, nüt wird nass wärde
Die Rohre, gehen durch die Institution, nehmen sie ein, akustisch und nichts wird nass
nichts wird nass werden, nichts ist nass geworden
Auch wenn ein Blitz einschlagen würde
Den Rohren entlang aufgeladen
den Raum für einen Moment elektrisiert
das Haus unter Spannung setzt
dann in den Boden und weg
die Spannung legt sich, flaut ab
Weil nichts zu sagen etwas ändert
Weil das Sprechen erstmal nichts an den Tatsachen ändert
Es greift nicht ein
Kein Wasser im Gemäuer
nichts versickert im Bühnenboden zwischen den Tanzbodenbahnen, den Gaffa-Klebestreifen nichts verläuft sich in den Fugen im Stein, in den Lücken im Gemäuer
alles ein sauberer Ablauf
Die Kunst im Fluss, aus dem Fluss
läuft sanft plätschernd durch die Institution
und läuft dann ab
zurück in den Fluss
vielleicht ohne wirklich Einfluss zu nehmen
Und dann fliesst es wieder ab, maximal unauffällig, durch den offenen Senklochdeckel
zurück in den Kreislauf
Und vielleicht sind diese paar Gieskannen
für einen Moment aus dem Lauf der Aare abgeleitet, eine neue Schlaufe zu ziehen
und wieder zurück in den Fluss, vielleicht sind sie dann
die Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen
den Fluss über die Ufer treten lassen
der Überfluss, der Austritt, aus dem vorgegebenen Bett, Rahmen, das was Bahn bricht
und übergreift, die Landflächen am Rand des Flussbetts verbindet
Zäune zwischen privaten und noch privateren Räumen niederreisst
Und wieder weiss
es das Wasser besser
Es ist geteilte Welt
ob wir sie teilen wollen oder nicht
Und besser ist
wenn teilen vereint
Ein paar letzte Tropfen kommen aus dem Haus heraus
die Institution, sie weint
Ich halte mein Gesicht
zuerst die eine dann die andere Seite
an die weinenden Wände
und lasse mir die Tropfen über die Wände meines Kopfes laufen
über die Haut, die Stirn
der Nase und den Schläfen entlang, über die Augenbrauen
die Augen hinweg
und auf der feinen Fläche, gleich darunter
trocknen sie ein und die kleinen Krustenteile sind Wirkstoffe und treten in mich ein
Und ich versuche zu spüren, was sie bewirken
welche Sorte Tränen es sind, ob sie mich mit beruhigen
nach der Wut, weil es nicht darum ging, alles niederzureissen
nur darum
Tropfen zu teilen